1 Englisches Original in: Christopher C. Liundi. Quotable Quotes Of Mwalimu Julius K Nyerere: Collected from Speeches and Writings (2012).
Es ist Oktober 2017, Semesterbeginn an der Universität Dar es Salaam. Ich bin hier als Austauschstudent. Auftaktveranstaltung. Ich sitze in einem halb gefüllten Vorlesungssaal. Die Mehrheit der Austauschstudierenden kommt aus China. Ich erinnere mich, ich bin überrascht – von ihrer hohen Anzahl, von meiner eigenen Ignoranz. Warum hatte ich bloß angenommen, dass der Großteil der Austauschstudierenden aus den USA und Europa käme und nicht aus China?
Fünfeinhalb Jahre später. Es ist Sonntagabend, wieder Dar es Salaam. Ruckelnd begeben wir uns von Schlagloch zu Schlagloch die von Regen ausgewaschene Straße entlang. Juma, mein Bolt-Fahrer, hat heute Abend noch keine 10.000 Schilling Umsatz gemacht, keine vier Euro, obwohl ich schon sein dritter Kunde bin. Das reicht nicht einmal fürs Benzin. Kein guter Abend, es fehlt die Kundschaft. Bedrückendes Schweigen.
Wenn er mit dieser Fahrt fertig ist, geht es für ihn nach Hause. Abende wie diese rentieren sich nicht. Zum Glück ist Juma nicht auf den Bolt-Job alleine angewiesen. Hauptberuflich arbeitet Juma als Fahrer für die Mwalimu Julius Nyerere Leadership School, einer politischen Kaderschmiede der einstigen Befreiungsparteien CCM (Tansania), ANC (Südafrika), MPLA (Angola), ZANU-PF (Simbabwe), SWAPO (Namibia) und FRELIMO (Mosambik). Gebaut von der China Railway Jianchang Engineering Company, finanziell mit 40 Millionen US-Dollar unterstützt von der Kommunistischen Partei Chinas (Nantulya 2023; Club of Mozambique 2018). Als die Schule vor einem Jahr eröffnet wurde, übermittelte der chinesische Präsident Xi Jinping schriftlich seine Glückwünsche (Embassy of the People’s Republic of China in the United Republic of Tanzania 2022).
Jumas alter Job war lukrativer, aber er wurde angefragt, ob er sich vorstellen könne, für die neue Führungsakademie zu arbeiten. Sein Umfeld habe ihm geraten zuzusagen. Der Lohn sei zwar geringer, das Prestige dafür größer. Und das zahle sich hoffentlich langfristig aus. Stichwort Hoffnung.
Chinesisch-tansanische Beziehungen
China und Tansania verbindet eine lange politische Freundschaft. Im Gegensatz zur zaghaften Haltung anderer sozialistischer Länder wie der DDR und der Sowjetunion erkannte China die Vereinigte Republik Tansania ohne zu zögern an, nachdem diese 1964 aus dem Zusammenschluss Tanganyikas und Sansibars hervorgegangen war (M. Shangwe 2021, 7). Tansania wurde zu einem der größten Profiteure chinesischer Entwicklungshilfe in Afrika (M. J. Shangwe 2017, 82). Es entstanden Projekte wie die tansanisch-sambische Eisenbahn, die Ubungo Farm Implements Factory, die Mbarali Rice Farm und Friendship Mill Textile (M. Shangwe 2021, 8, 20–21).
Heutzutage ist China der wichtigste Handelspartner Tansanias (M. J. Shangwe 2017, 17). Viele hier setzen direkt oder indirekt auf das Reich der Mitte. Laut dem Forschungsnetzwerk Afrobarometer ist das chinesische Entwicklungsmodell in Tansania mittlerweile beliebter als das der USA, Russlands oder des Vereinigten Königreichs (Afrobarometer 2021). Ist es somit das bessere? Passt es aufgrund seiner kruden Vermischung von Kommunismus und Kapitalismus besser zum einstigen sozialistischen, jetzt neoliberalen Tansania? Zur Ein-Parteiendominanz-Demokratie? Zu einem Land, über das manche sagen, dass der Frieden der Vielen mit dem Verschwinden Einzelner bezahlt wird? Einem Land, in dem das Kollektiv traditionell stärker betont wird als das Individuum?
Die chinesische Präsenz in Tansania
Auf meinem Weg von Mikocheni B in die Innenstadt Dar es Salaams komme ich an einer chinesischen Autowerkstatt, einem chinesischen Fischgeschäft, einem chinesischen Restaurant, einem chinesischen Bauunternehmen, einem chinesischen Geschäft für Haushaltswaren und einem chinesischen Kulturzentrum vorbei. China ist präsent dieser Tage. Chinesische Unternehmen ziehen Hochhäuser in die Luft, gestalten die Infrastruktur, schaffen Arbeitsplätze. Bedeutsam für ein Land, das einen Großteil seiner Studierenden nach erfolgreichem Uniabschluss in die Arbeitslosigkeit entlässt.
Auch Omary, ein anderer Bolt-Fahrer, der mich eines Nachmittags nach Hause bringt, erging es so. Er studierte Kiswahili, die Landessprache Tansanias, auf Lehramt. 2017 schloss er sein Bachelor-Studium ab. Anstellung? Fehlanzeige. Nun verdient er sein Geld mit dem Bajajifahren, wie hier die dreirädrigen Autorikschas genannt werden, die sich hell-dröhnend dem Sound einer Motorsäge gleich durch den Verkehr der Acht-Millionen-Metropole schlängeln. Hätte Omary lieber Chinesisch am örtlichen Konfuzius-Institut der Universität Dar es Salaams lernen sollen, so wie es institutsinternen Zahlen bereits 12009 andere Studierende bis zum Jahr seines Abschlusses gemacht hatten? Hätte Omary dann eine Anstellung als Übersetzer oder Angestellter in einem chinesischen Unternehmen finden können?
Die tansanische Tageszeitung Daily News zitierte kürzlich die derzeitige chinesische Direktorin des Konfuzius-Instituts in Dar es Salaam, Professorin Xiaozhen Zhang: Beinahe alle Absolvent:innen des Instituts fänden eine Anstellung. Das Konfuzius-Institut heißt es, habe gar mit der steigenden Nachfrage von Unternehmen nach lokalen Chinesisch-Expert:innen zu kämpfen (Minja 2023). Ob dieser Boom nachhaltig ist?
Ein Gespräch mit einem Lehrer des Instituts lässt mich zweifeln, denn obwohl auch er der Meinung ist, dass Chinesisch derzeit die beste Chance biete einen Arbeitsplatz in Tansania zu finden, betrachtet er recht nüchtern die Zukunft: Spätestens in zehn Jahren, wenn Chinesisch in Tansania so verbreitet sei wie heutzutage Englisch, würde der Boom nachlassen. Schon jetzt seien die Tagessätze für Übersetzer:innen im Vergleich zu vor ein paar Jahren merklich gesunken. Ist es also nur eine Frage der Zeit bis der Boom zur Blase wird, die schließlich platzt?
Teil der Zukunft ist ihr ungewisser Charakter. Wir können unsere Ängste oder Hoffnungen in sie hineinprojizieren – vollständige Gewissheit erlangen wir aber nur im Augenblick der Gegenwart mit dem was gerade ist.
Und jetzt ist Regenzeit. Die Luft, sie ist so vollgesogen mit Feuchtigkeit, dass es sofort wieder zu regnen anfinge, wränge ich sie mit meinen Händen aus. Täglich regnet es. In einem Land, das letztes Jahr die schlimmste Dürre seit 40 Jahren durchlebte, bedeutet das Zuversicht. Schimmernde Vorhänge aus Wasser fallen zu Boden, Gärten grünen, Moskitos schwirren, Temperaturen sinken und mit ihnen die Anspannung der zuletzt nicht nachlassen wollenden Trockenperiode.
Die tansanische Wirtschaft gilt als eine der am schnellsten wachsenden Ökonomien der letzten Jahre (African Development Bank 2023, 1). Der warme Finanzregen aus China fällt hier auf fruchtbaren Boden. Er scheint frei daher zu kommen, ohne politische Auflagen: In der chinesischen Außenpolitik gilt das Credo der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes. Das wird willkommen geheißen, das wird begrüßt in einem Land, in dem das Pochen sogenannter westlicher Länder auf Freiheitsrechte mitunter auf Widerstand stößt, in dem Diskussionen über den Schutz queerer Menschen schnell zum Vorwurf des Neokolonialismus führen.
Die Fragilität der Menschenrechte
Mitte Februar behauptete die amtierende tansanische Präsidentin Samia Suluhu Hassan vor Studierenden in Dodoma, dass Menschenrechte ihre Grenzen hätten. Tansanier:innen sollten nicht zu Dingen gezwungen werden, die nicht Teil ihrer Gewohnheiten und Traditionen seien. Es gäbe viele Rechte, die ihre Regierung garantiere: das Recht auf Leben, auf Bildung, auf ärztliche Versorgung, auf Wasser- und Stromversorgung, auf Sicherheit, Bewegungs- und Meinungsfreiheit. Aber es gebe Rechte, sie nannte sie „diese anderen Rechte“, vor denen müssten die tansanischen Brüder und Schwestern geschützt werden (Baharia TV 2023; Ikulu Tanzania 2023).
Was heißt das: Menschenrechte haben ihre Grenzen? Was bedeutet es, wenn ein Staat gewisse Menschenrechte garantiert, andere aber nicht? Wer entscheidet, wie und welche Menschenrechte garantiert werden und welche nicht? Wann sie gegen die eigene Kultur, die eigene Tradition verstoßen und wann nicht?
Als Kind liebte ich es Smarties nach Farben zu sortieren und mir diejenigen herauszupicken, deren farbiger Zuckerüberzug mich gerade am meisten faszinierte. Es war ein willkürliches Spiel. Mal fing ich mit den Grünen an, mal mit den Blauen, ein anderes Mal mit den Gelben. Wenn politisch Verantwortliche anfangen Menschenrechte aufzuteilen in mehr und minder geeignete, sich diejenigen herauspicken, die ihnen gerade ins politische Geschäft passen, die ihre Regierung bereit ist zu garantieren, spielen sie genau dieses Spiel. Sie agieren dann nicht nur willkürlich; sie agieren verantwortungslos und die Menschenrechte missachtend. Menschenrechte verlieren so ihre Bedeutung, ihren Garanten. Sie werden zur bunten Smarties-Ansammlung, zum infantilen Spiel.
Dabei sind Menschenrechte eigentlich per definitionem universell und unteilbar. Das sehen wir nicht nur in Europa so. Das sieht beispielsweise auch der beninische Philosoph Paulin Hountondji, ein Schwergewicht der afrikanischen Philosophie, so, der die Werte, in denen Menschenrechte wurzeln, universell wiedererkennt, unabhängig von der jeweiligen Gesellschaft: Für ihn sind die Grundlage der Menschenrechte schlichtweg Menschen: „‚Menschen, die seit Jahrtausenden in allen Ländern und in allen Kulturen unter der Hand von Menschen gelitten haben‘“ (Dübgen und Skupien 2019, 156). Können Menschenrechte also überhaupt gegen eine Kultur verstoßen?
Stünde da nicht der Vorwurf des Eurozentrismus im Raum, die Erfahrung von ehemals kolonisierten Ländern, dass Menschenrechte eben nicht für alle galten und gelten. Eigentlich rühmt sich gerade Europa als Beschützerin der Menschenrechte. Eigentlich. Wäre da nicht das Wort eigentlich, denn eigentlich sind auch in Europa die Menschenrechte nicht universell und ungeteilt. Ein Blick auf die europäischen Außengrenzen, aufs Mittelmeer, auf die toten Körper der untergehenden Migrant:innen genügt. Eigentlich, eigentlich stellt sich hier wie anderenorts die Frage, wer Menschenrechte wie und wann und aus welchem Kontext heraus formuliert hat? Und auch, wie sehr die Feststellung der postkolonialen Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivaks zutreffend ist, dass Menschenrechte – wie das Erbe der Aufklärung insgesamt – Gift und Arznei zugleich seien (de Jong 2022, 95)? Und eigentlich, eigentlich greift die tansanische Präsidentin Samia Suluhu Hassan doch nur auf, was in Europa die rechtspopulistische Revolte der letzten Jahre zur Realität gemacht hat: Menschenrechte haben ihre Grenzen. Und diese Grenzen bringen Tote.
Mit hasserfüllten Grüßen von queerphobischen US-Kirchen
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer tansanischen Studentin. Sie war überzeugt: Homosexualität sei nicht Teil der tansanischen Kultur. Homosexualität, das sei Neokolonialismus. Ich – ich war sprachlos. Nicht ihre Position erschütterte mich, die kannte ich schon aus anderen Gesprächen, sondern die Energie, mit der sie diese vortrug, der Elan ihrer homophoben Radikalität; die Unvereinbarkeit ihres christlichen Glaubens und tansanischen Kulturpatriotismus mit queeren Lebensrealitäten; ihre unverhohlene Abneigung; die Art und Weise, wie sie das Wort weird nutze. Ihre Worte waren voll Hass.
Es ist Hass wie dieser, der Ende April zum brutalen Tod einer lesbischen Frau in Geita, einer Stadt im Nordwesten Tansanias, führte. „She was butchered,“ sagte mir ein Bekannter. Butchered – ein common Word, das ich schon zu häufig im Zusammenhang mit dem Tod von Menschen gehört habe.
Ich frage mich, wo kommt all dieser Hass her? Hass, der so weit reicht, dass sich Menschen verstecken, aus Angst vor Polizei und Nachbarschaft? Hass, der seinen Weg in politische Gremien findet, der offen geäußert wird, wie von Mary Chatandas, der Vorsitzenden des Frauenflügels der tansanischen Regierungspartei, die kürzlich die Kastration von Schwulen forderte (Kaledzi 2023).
„Es ist bemerkenswert, dass diese Politiker die Tatsache ignorieren, dass nicht die Homosexualität, sondern die strengen Anti-Homosexualitätsgesetze uns von der Kolonialregierung aufgezwungen wurden,“ schreibt der tansanische Journalist Sammy Awami in einem Artikel für die BBC (Awami 2023).
Ich frage mich, wie sehr schwappen die queerphoben Diskurse aus den USA über evangelikale und andere radikalchristliche Freikirchen derzeit rüber nach Tansania, befeuern die phobe Stimmung, den Hass? Immerhin sind laut OpenDemocracy seit 2007 54 Millionen US-Dollar aus den Taschen 20 rechter US-amerikanischer christlicher Gruppen nach Afrika geflossen sein. 20 rechte christliche Gruppen, die dafür berüchtigt sind gegen LGBTIQ-Rechte und den Zugang zu sicheren Abtreibungen, Verhütungsmitteln und umfassender Sexualerziehung zu kämpfen (Namubiru und Wepukhulu 2020). Ist das christlicher Neokolonialismus, Neo-Missionarisierung oder nur extreme religiöse Eiferei?
Kristen Cheney von der University of Victoria hat auf diese Fragen eine eindeutige Antwort. „Der religiösen Rechten in den USA ist es gelungen, den afrikanischen Spiritualismus und die Homophobie für ihre eigenen politischen Zwecke zu vereinnahmen,“ heißt es in ihrem Artikel „Locating Neocolonialism, ‚Tradition,‘ and Human Rights in Uganda’s ‘Gay Death Penality’“ (2012). Der konservative US-Evangelikalismus sei daher der eigentliche Neokolonialismus, nicht die Homosexualität (Cheney 2012, 92).
Wir brauchen nicht noch mehr europäische Arroganz
Ein Problem, vielleicht das Problem schlechthin bleibt: Europa meinte in der Vergangenheit immer alles besser zu wissen, handelte konsequent von oben herab, schickte zuerst seine Missionare mit der „richtigen“ Religion, dann seine Kolonialbeamte. Und diese Haltung, dieser eurozentrische Irrglaube herrscht noch immer. Wenn heute ein Emmanuel Macron fordert, dass Europa eine Weltmacht neben China und den USA sein solle, setzt dieser eben jene Überheblichkeit fort, die seit Beginn des europäischen Imperialismus für Leid, Unterdrückung und somit in letzter Konsequenz auch die Ablehnung Europas und europäischer Werte sorgte (Rankin 2023).
Es mag richtig sein, dass Europa verstärkt eigenständig agieren und sich frei von überkommenen Loyalitäten machen muss. Aber es muss sicherlich nicht danach streben, eine dritte Weltmacht zu werden. Europa würde es guttun, reumütiger aufzutreten, denn es ist eben diese andauernde Überheblichkeit, die dazu führt, dass Europa im Globalen Süden seine Glaubhaftigkeit verliert. So wird auch die letzte europäischen Karte verspielt. Wer glaubt schon an die Partnerschaft auf Augenhöhe mit einer Weltmacht?
Wir brauchen nicht mehr Weltmächte – wir brauchen eine Welt, in der Macht global gerechter verteilt ist. Wir brauchen eine Welt, in der sowohl die eigenen Leistungen und die politischer Partner:innen als auch die Dritter am ethischen Kodex der Menschenrechte gemessen werden. Dafür sollte sich Europa einsetzten, selbst wenn das heißt, dass damit eigene Privilegien abgegeben werden, die eigene Macht beschnitten wird.
Europa gebührt keine Sonderrolle; das müssen wir Europäer:innen endlich verstehen. Es ist somit richtig, wenn Olaf Scholz vor dem Europaparlament feststellt: „Wer nostalgisch dem Traum europäischer Weltmacht nachhängt, wer nationale Großmachtfantasien bedient, der steckt in der Vergangenheit“ (Scholz 2023). Bitter nur, dass die Scholz’sche Initiative kenianische Fachkräfte nach Deutschland zu holen, in Kenia selbst nicht für ungeteilte Freude sorgte. Kritische Stimmen sprachen von deutschem Imperialismus, von der Ausweitung der europäischen Außengrenzen ins Innere Afrikas, vom Abzug dringend benötigter Fachkräfte (Communist Party of Kenya [@CommunistsKe] 2023). Wie war das gleich mit der Scholz’schen „Partnerschaft, die den eurozentrischen Blick der vergangenen Jahrzehnte hinter sich lässt“ und „die Augenhöhe nicht nur behauptet, sondern herstellt“ (Scholz 2023)?
Kann die Festung Europa ein Freund Afrikas sein?
Das mag ketzerisch klingen, aber die Frage, ob Deutschland hier nicht erneut an der aufrechten Verkörperung politischer Freundschaft scheitert, an der Europa insgesamt bisher scheiterte, ist valide und angebracht. Denn es ist diese aufrechte Verkörperung politischer Freundschaft, die China in Tansania sowie anderen Teilen Afrikas gelang, die dafür sorgte, dass China heutzutage für voll genommen wird.
„Wir wünschen uns Freundschaft mit nicht-westlichen Nationen ebenso wie mit westlichen Staaten auf der gleichen Grundlage der gegenseitigen Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“ ließ der damalige tansanische Präsident Julius K. Nyerere 1965 in Peking verlautbaren (Liundi 2012, Kap. On Foreign Relations). „Wir wollen mit allen freundlich umgehen und werden niemals zulassen, dass unsere Freunde unsere Feinde für uns auswählen (Liundi 2012, Kap. On Foreign Relations).“ Nyerere gilt als Vater der tansanischen Nation, sein politisches Vermächtnis reicht weit über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Obwohl sie aus einer anderen Zeit stammen, wirken diese Worte aktueller denn je; es ist Zeit, dass Europa ihre Gültigkeit anerkennt. Sie gelten nicht nur für Tansania, sondern auch anderswo.
Ein moralisches Dilemma lässt sich jedoch nicht so einfach lösen: Wie sich für den Schutz queerer Menschen und die ungebrochene Anerkennung aller Menschenrechte stark machen, ohne sich gleichzeitig in die inneren Angelegenheiten eines Landes einzumischen? Vielleicht müssten im ersten Schritt Menschenrechte in Europa für alle gelten, auch für diejenigen, die selbst nicht europäische Staatsbürger:innen sind, auch für diejenigen, die sich „irregulär“ auf den Weg nach Europa machen. Wird die Festung Europa erst einmal zur genuinen Festung der Menschenrechte, besteht Hoffnung, dass Europa wieder an Glaubwürdigkeit gewinnt, ja vielleicht gar an politischem Einfluss – ganz ohne Sanktionen und Hochnäsigkeit. Der zweite Schritt wird sich dann zeigen, denn Teil der Zukunft ist ihr ungewisser Charakter.
Persönliche (Dis-)Kontinuitäten
Ich warte wieder einmal auf ein Bajaji. Viel Zeit verbringe ich dieser Tage auf ihren Rückbänken, fahre von Interview zu Interview, spreche mit Künstler:innen und Kulturschaffenden, mit Lehrenden und Studierenden, versuche den Einfluss chinesischer Sprach- und Kulturinstitute auf die lokale Kunst- und Kulturszene zu verstehen, alles im Namen der Forschung. Als mich Madinda, der Bajaji-Fahrer – diesmal Uber statt Bolt – Kiswahili sprechen hört, freut er sich und lacht herzlich. „Wengine hawajui kabisa“ kommentiert er meine Sprachkenntnisse. Andere würden nicht einmal ein klein wenig Kiswahili verstehen.
In gewisser Weise setzte auch ich damit eine koloniale Kontinuität fort: Ich bin weiß, männlich, Europäer. Ich forsche über die „Anderen“. Ich bin Doktorand eines Instituts, dessen Wurzeln sich auf ein 1887 gegründetes Seminar zurückführen lassen, das deutsche Kolonialbeamte schulte – von Anfang an auch in Kiswahili.
Ach Europa, was hast du nicht alles kaputtgemacht, wieso bist du nur so schwierig? Für deine Hinterlassenschaften schäme ich mich. Was wird bloß aus dir? Was aus deiner Zukunft?
Bibliografie
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